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600 Jahre alter Typar lag am Weserstrand

Erst der Siegelstempel verleiht einem Dokument seine Echtheit

Bei vielen Dokumenten reicht die Unterschrift nicht aus; als amtliche und verbindliche Bestätigung wird noch ein Siegel hinzugefügt. Es ist der Abdruck eines Stempels aus Gold, Blei, Silber, Ton oder Wachs. Auch in der Mindener Domschatzkammer lagern etliche Siegelstempel.

Dieses bedeutende Siegel war ein Zufallfund, den ein Fossiliensammler an der Weser in Minden machte.Der Siegelabdruck auf einer Urkunde, einem Brief oder einem Urteil hat etwas Schicksalhaftes an sich. "Dein Schicksal ist besiegelt", sagt der Volksmund. Die siegelführende Stelle hat Macht, aber auch Verantwortung. Sie entscheidet über Recht und Unrecht.

Bis heute führen staatliche und kirchliche Institutionen das Siegel, mit dem sie ihren Schriftstücken Gültigkeit verleihen. Schon im Mittelalter führte auch im Mindener Raum der Bischof ein Siegel. Das älteste in Minden nachgewiesene ist das Siegel des Bischofs Dietmar aus dem Jahre 1206. Oft aber hatte auch das an seiner Seite stehende Domkapitel ein eigenes Siegel. Zu dieser Entwicklung hatten die Aufhebung der "vita communis" und die Verwaltung eigener Güter beigetragen.

Den Nachweis eines solchen Siegels für das Mindener Domkapitel verdanken wir einer unglaublichen Entdeckung in unserer Zeit. Der Mindener Prof. Gert Fisahn, ein leidenschaftlicher Fossiliensammler, fand am 10. Oktober 1982 etwa 200 Meter südlich der Nordbrücke bei niedrigem Wasserstand der Weser einen Gegenstand, der keineswegs in seine Sammlung passte, aber von unbeschreiblichem Wert war. Er wollte ihn schon wieder ins Wasser werfen, als er an diesem verschmutzten, spitz-ovalen Metallstück eine Gravur entdeckte, die ihn nachdenklich machte.

Ende Oktober 1982 konnte der damalige Leiter des Mindener Kommunalarchivs, Dr. Hans Nordsiek, den in der Weser gefundenen Gegenstand als einen Siegelstempel des Mindener Domkapitels, der von 1308 bis 1376 in Gebrauch war, identifizieren. Diese genauen Daten waren aus Urkunden der damaligen Zeit zu ersehen.

Der Siegelstempel, auch Typar genannt, ist in Bronze gegossen. Auf der Vorderseite sind links der heilige Gorgonius mit Schwert und Schild, das ein Kreuz aufweist, und rechts der heilige Petrus mit Schlüssel als Standfiguren abgebildet. Ihre Füße gehen über die gerillte Randung hinaus. Auf dem äußeren Rand stehen die Worte in spiegelverkehrter Schrift: + S(IGILLUM) – MINDENS(IS) – ECC(LESI)E – AD CAUSAS. Das "sigillum ad causas", das Siegel für Geschäftssachen, ist als kleiner Siegelstempel erstmals 1308 auf einer Urkunde nachzuweisen. Der nach 1376 neu eingeführte Siegelstempel ist ebenfalls urkundlich erwähnt. Neben dem großen Siegel wurden in Kanzleien, in denen zahlreiche Urkunden ausgestellt wurden, auch kleine Siegel geführt. Dazu gehörte auch dieser wiedergefundene Stempel, für den früher der Domdekan verantwortlich war.

Das Siegel des Mindener Dompropstes Wedekind vom Berge (1350-1369).Die Domschatzkammer verfügt außerdem über das Siegel des Mindener Dompropstes Wedekind vom Berge (1350-1369), auf dem Gorgonius mit Schild und Petrus mit Schlüssel zu sehen sind. Es trägt die Aufschrift: S: WEDEKINDT MOTE. PPT.

Eine weitere Siegelkopie aus Wachs mit dem Bild des Gorgonius, dargestellt als Ritter auf einem springenden Pferd, konnte der Verfasser aus dem ehemaligen Benediktinerkloster in Gorze bei Metz, wo der Heilige ursprünglich begraben war, der Schatzkammer zuführen.

Neben der Kirche in Minden verfügte auch die Stadt über einen Siegelstempel, der aus dem Jahre 1230 nachgewiesen ist. Ein Abdruck liegt in der Schatzkammer vor. Mit dem wachsenden Selbstbewusstsein der Bürger war auch der Anspruch auf Siegelführung verbunden. Die Umschrift auf diesem Typar weist darauf hin: + SIGILLUM.BURGENSIUM. IN MINDA. Erstaunlich ist bei diesem Stadtsiegel, dass Petrus, an Schlüssel und Buch erkennbar, aufgenommen wurde. Musste er unter dem Druck der kirchlichen Obrigkeit auf den Siegelstempel gesetzt werden oder wollten die Bürger ihn als Stadtpatron übernehmen? Sollte Petrus bis heute der Patron Mindens sein? Gibt es einen Zusammenhang mit Karl dem Großen, dem Gründer des Bistums, dessen Kopf mit Krone sich auf dem unteren Teil dieses Typars befindet?

Wie alt die Kenntnis und der Gebrauch von Siegeln sind, geht aus Texten der Bibel hervor. Als der verlorene Sohn zu seinem Vater heimkehrt, wird ihm neben schönen Kleidern und Schuhen vor allem ein (Siegel-)Ring verliehen (Lk 15,22). Mit diesem Ring machte ihn der Vater zum Verwalter seiner Güter. In einem noch viel früheren Text der Heiligen Schrift, im Hohenlied, begegnet uns – in spiritualisierter Form – ein Hinweis auf das Siegel. Ein junges Mädchen bittet in tiefer erotischer Innigkeit: "Leg‘ mich wie ein Siegel auf dein Herz" (Hld 8,6). Letztlich ist dieser Wunsch an Gott gerichtet.

In der Liturgie der Kirche spricht bis heute der Bischof bei der Spendung des Firmsakramentes, das eine Vollendung des Taufsiegels ist, über den Bewerber das Wort: "Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist". Dabei zeichnet er ihm mit "Chrisam" ein Kreuz auf die Stirn. Das Kreuz ist das Siegel Gottes; es bedeutet Hingabe und Liebe.

Nächstes Objekt des Domschatzes: Ein Buchdeckel aus dem 13. Jahrhundert

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