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Ein Gießlöwe, der wohl gülden schimmerte

Aquamanile geht vermutlich auf Zeit Heinrichs des Löwen zurück

Einer der eindrucksvollsten Schätze im Dom ist ein Aquamanile. Das sieben Jahrhunderte alte Gefäß für die Händewaschung hat die Gestalt eines Löwen.

Der heilige Augustinus schreibt im 9. Buch seiner Bekenntnisse: "Was war ich für ein Mensch? Gibt es Böses, das ich nicht tat?" Jeder ist schuldig vor Gott und den Menschen, auch der Priester, der am Altare steht. Weil er darum weiß, bittet er in jeder Eucharistiefeier mehrmals um das Erbarmen Gottes. Gleich am Anfang des Gottesdienstes steht das "Kyrie, eleison – Herr, erbarme dich". Die misera ruft nach der misericordia. Vor der Verkündigung des Evangeliums betet der Priester tief gebeugt: "Heiliger Gott, reinige mein Herz und meine Lippen, damit ich dein Evangelium würdig verkünde." Und in der Gabenbereitung nach der Darbringung von Brot und Wein lässt er sich Wasser über die Hände schütten; dabei betet er: "Herr, wasche ab meine Schuld; von meinen Sünden mache mich rein." Nur im Frieden mit Gott und den Menschen darf der Priester das Opfer Jesu Christi feiern.

Dieser Gießlöwe geht vermutlich auf die Zeit Heinrichs des Löwen zurück.Das bei der Händewaschung verwandte Gefäß ist oft eine schlichte Kanne aus Ton, Glas oder auch Silber. Manchmal aber ist es besonders künstlerisch gestaltet. Ein solches vielfach bewundertes Gefäß ist das Aquamanile der Mindener Domschatzkammer. Gestalt und Funktion werden mit diesem Begriff oder auch mit der Bezeichnung "Gießlöwe" beschrieben. Der Begriff "Aquamanile" setzt sich aus den beiden lateinischen Worten "aqua – das Wasser" und "manus – die Hand" zusammen. Es handelt sich also um ein Gefäß, das in der Gestalt des Löwen mit Wasser gefüllt und für die Händewaschung des Liturgen bestimmt ist.

Das Aquamanile wird in dem Mindener Domschatzinventar von 1683 mit dem Vermerk "Ein messings Handfaß in eines Löwen Format" erwähnt. Während bisher als Entstehungsdatum meistens das 13. Jahrhundert genannt wurde, kann nach neueren Forschungen bereits die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts angenommen werden. Wenn diese frühere Zeitangabe zutrifft, könnte eine Legende Wirklichkeit werden. Bekanntlich hat sich Herzog Heinrich der Löwe im Jahre 1168 mit Mathilde, der Tochter Heinrichs II. von England im Mindener Dom trauen lassen. Nach der Legende soll Heinrich der Löwe dieses Aquamanile in Anspielung an seinen Beinamen "der Löwe" als Geschenk mit nach Minden gebracht haben. Wenn man bedenkt, dass der Braunschweiger Burglöwe, der eine ähnliche Gestalt wie das Mindener Aquamanile aufweist, im Jahre 1166 entstanden ist, rückt die Wahrscheinlichkeit der früheren Datierung näher.

Der mächtige Löwe mit hoch aufgerichtetem Kopf, mit geraden Vorder- und gespreizten Hinterbeinen, hält in seinem Maul mit fletschenden Zähnen die Gestalt eines männlichen Oberkörpers. Offensichtlich wollte der Künstler, der aus dem sächsischen Raum, vielleicht aus Braunschweig oder Magdeburg, eventuell auch aus Minden stammte, an die Bitte des Beters erinnern: "Rette mich vor dem Rachen des Löwen" ( Psalm 22,14 ), vor allem aber an die Bibelstelle: "Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!" (1 Petr 5,8f). Der Widersacher, das Böse, wird in der Heiligen Schrift oft in der Gestalt des Drachen dargestellt. Dieser Drache, der sich auf dem Rücken des Löwen befindet, hat dem Gefäß als Griff zu dienen. Mit den Vorderbeinen stütz er sich am Kopf des Löwen ab, während der Blick zur Seite gerichtet ist. Das Schwanzende des Drachen ist auf dem Löwenrücken befestigt.

Der Löwe, dessen Schwanz um das rechte Hinterbein gewunden ist, hat die Ohren gespitzt und schaut mit scharfen Augen in die Augen seines Opfers. Fein ausgearbeitete florale Ornamente verzieren in Form eines Bandes den Kopf des Tieres oberhalb der Augen. Auch die stolze Mähne ist kunstvoll gearbeitet. Der Ausguss für das Wasser befindet sich in dem Oberkörper des Mannes, der sich am Kopf des Löwen abstützt. Eine Öffnung am Hinterkopf des Tieres diente zum Einfüllen des Wassers. Eine Nahtstelle am linken Vorderlauf erinnert daran, dass dieses Glied vor Jahren abgebrochen und wieder angelötet worden ist.

Der Mindener Gießlöwe ist in seiner majestätischen Haltung ein besonders kunstvoll gefertigtes Wassergefäß, das vielleicht früher vergoldet war. Dieses Kunstwerk lädt aufgrund der Bedrohung des Menschen durch die Macht des Bösen zur Wachsamkeit ein. Wegen seiner Verwendung in der Liturgie erinnert es an die Schuld, vor allem der Liturgen, spricht aber auch von der reinigenden Kraft des Wassers. Zunächst soll das Wasser den Staub der Straße abwischen. Letztlich aber geht es um das "lebendige Wasser" ( Joh 4,l0 ), das die Reinigung der Seele und damit ihre Heilung bewirkt.

Vielleicht hat der Künstler mit dem Gießlöwen auch auf das Schicksal des Daniel, der in eine Löwengrube geworfen wurde, hinweisen wollen. Dann wäre Daniel – eine Symbolfigur für das Schicksal der Welt – die Gestalt im Maul des Löwen. Daniel aber hat auf Gott vertraut; darum konnte er jubeln: “Mein Gott sandte seinen Engel und verschloss den Rachen der Löwen“ ( Daniel 6,23 ). Diese Spannung, die im Aquamanile steckt – der Löwe ist zwar durch Christus besiegt, aber doch gilt die Mahnung des heiligen Petrus: hütet euch vor ihm – beschäftigt vor allem die Kunst der Romanik.

Nächstes Objekt des Domschatzes: Der Mindener Leuchter

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