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Vortragekreuz in moderner Fassung

Schwester Lioba Munz fertigte Kreuz in vierjähriger Arbeit

Der Ausdruck des Kreuzes ist ambivalent. Das Kreuz ist sowohl Sieges- als auch Leidenszeichen. Wenn es als Siegeszeichen verwandt wird, will es vor allem auf Auferstehung und Leben hinweisen. "Unseren täglichen Tod begraben wir im Wort Auferstehung" (Rose Ausländer). Mit dieser österlichen Grundaussage begleitet es die Gläubigen, die feierlich durch den Dom ziehen oder in einer Prozession den Kirchenraum verlassen, um in sich in einem festlichen Zug in die "Welt" zu begeben. Solche öffentlichen Prozessionen sind seit der Befreiung des Christentums im 4./5. Jahrhundert bekannt. Sie knüpfen an vorchristliche Flur- und Stadtumzüge an, die an bestimmten Tagen als Bittprozessionen durchgeführt wurden. Die christlichen Prozessionen sind feierliche Nachbildungen der Wege Jesu, wie sie bis heute etwa in der Palmprozession, dem Einzug Jesu in Jerusalem, erhalten sind. Alle Formen von Umzügen, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt haben, wurden schließlich von der Fronleichnamsprozession überragt. Sie ist keine Machtdemonstration der Kirche, sondern ein Zeugnis der Christen für die Herrschaft Gottes in der Welt. Das Christentum wollte sich nicht in die Kirchenräume zurückziehen, sondern seinen Glauben auch in der Öffentlichkeit bekennen. Allen Prozessionen zieht immer das Kreuz voran.

In vierjähriger Arbeit fertigte Lioba Munz das Vortragekreuz.Ein solches Vortragekreuz in moderner Fassung hat der damalige Propst Wilhelm Garg (1966-1987) der Domgemeinde 1987 geschenkt. Die bekannte Künstlerin Schwester Lioba Munz OSB hat es in Fulda als eines ihrer reifen Werke in vierjähriger Arbeit erstellt. Das silberne Kreuz, das zum Teil vergoldet ist, besteht aus Kongo-Wenge, eine Art Ebenholz, und ist mit vergoldetem Silber beschlagen. Die Vorderseite zeigt Christus als gekreuzigten in Grubenschmelz mit ausgestreckten Armen und leicht abgesenkten Händen. Die Füße sind überkreuzt. Anstelle von Nägeln sind Blutstropfen angedeutet. Das geneigte Haupt ist durch die Bearbeitung des Hintergrundes von einem Nimbus umgeben. Der Corpus schillert in grünem Email mit violettfarbenen Schatten; der Lendenschurz ist smaragdgrün mit roten Kanten. Am Längs- und Querbalken sind sechs australische Rubinen angebracht.

Die Rückseite des Kreuzes reicht in ihrer Gestaltung bis in die Zeit Jesu zurück. In der Mitte befindet sich auf einer goldenen Scheibe eine byzantinische Goldmünze des Kaisers Michael VII. Dukas (1071-1078), in die ein Christuskopf eingearbeitet wurde. Um diese Münze sind  vier ovalförmige jugoslawische Rubine und zwölf kleinere Edelsteine aus dem gleichen Material gelegt. Auf den vier Kreuzarmen befinden sich  quadratische Rubine in dunkelroter Farbe. Dazwischen sind römische Silberdinare mit Bildnissen römischer Kaiser eingestreut, unter ihnen  Augustus (27 vor bis 14 nach Chr.), Tiberius (14-37), Vespasian (69-73), Domitian (81-96), Trajan (98-117), Marc Aurel (161-180).  Insgesamt sind auf dieser Seite 30 römische Denare angebracht, ein Hinweis auf die 30 Silberlinge des Judas. Die Münzen umfassen die Anfangszeit der Kirche von Kaiser Augustus, der im Evangelium bei der Geburt Jesu erwähnt wird, bis zum Kaiser Gordian III. im frühen 3. Jahrhundert. Das Prozessionskreuz wird von einem Stab aus Ebenholz getragen, über dem sich ein Knauf aus grünem Edelstein befindet.

Römische Denare sind auf der Rückseite des Kreuzes angebracht und eine byzantinische Goldmünze aus der Zeit des Kaisers Duka.Lioba Munz hat gern die byzantinische Kunst in ihre Arbeiten einbezogen. Dieser Einfluss wird auch hier erkennbar. Die vielen Edelsteine, die an beiden Seiten des Kreuzes befestigt wurden, sind Ausdruck des Triumphes Christi über den Tod. Die integrierten Silbermünzen aus römischer Zeit geben dem Kreuz einen Charakter christlicher Weltbezogenheit. Obwohl die mächtigen Kaiser das Christentum unterdrücken konnten, hat doch das Kreuz gesiegt. Victor quia victima - Sieger, weil geopfert; aus diesem Axiom lebt die Kirche. Die großen Reiche sind vergangen, nur die Bildnisse ihrer Kaiser auf alten Münzen sind als Schmuckstücke des Kreuzes geblieben.

Das Bild Christi auf diesem Kreuz, das den Gläubigen vorangetragen wird, strahlt eine wohltuende Ruhe aus. In den langen ausgebreiteten
Armen erkennt der Betrachter eine Einladung, sich ihm vertrauensvoll anzuschließen und ihm auf dem Lebensweg zu folgen. Dieses Vortragekreuz ist in seiner Pracht und Würde wie ein Lebensbaum, der Hilfe und Trost spendet. Alle Menschen haben ihre Schatten, die sie unerbittlich verfolgen. Viele nennen diese Schatten ihre Kreuze. Manche möchten vor ihnen fliehen; aber die Schatten lassen sich nicht abschütteln. Da auch der Baum des Kreuzes einen Schatten wirft, ist er eine Einladung, sich unter diesen Baum zu stellen und seinen eigenen Schatten im Schatten des Kreuzes aufzulösen. So ist dieses Prozessionskreuz der Schatzkammer, das zu allen feierlichen Umzügen in den Dom getragen wird, wie das tröstliche Wort Jesu: "Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen" (Mt 11,28).

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