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“Ein silbern übergüldetes mit Steinen versetzetes Reliquiarium”

Ein Speisekelch, der besondere Beachtung verdient

In jeder katholischen Kirche befindet sich ein Tabernakel, in dem die in der heiligen Messe übrig gebliebenen Hostien aufbewahrt werden. Da die genaue Zahl der kommunizierenden Gottesdienstteilnehmer schwer abzuschätzen ist, werden in der Regel von dem zelebrierenden Priester mehr Hostien konsekriert. Anschließend legt er die heiligen Brotreste in einen Speisekelch (Ziborium), um sie vornehmlich für Kranke und Sterbende, die am Gottesdienst nicht teilnehmen konnten, als Wegzehrung zur Verfügung zu haben.

Zum Zeichen der Gegenwart Jesu Christi brennt vor jedem Tabernakel das ewige Licht. Die Verehrung der heiligen Hostien wurde schon in der romanischen und gotischen Kunst durch prachtvoll gestaltete Tabernakel zum Ausdruck gebracht. Auch in verschiedenen Mindener Kirchen sind solche architektonisch geprägten Sakramentshäuschen zu bewundern. Nach katholischer Auffassung ist Jesus Christus in der Eucharistie wahrhaft und wirklich zugegen und schenkt sich dem empfangenden Gläubigen. Jesus hatte gesagt: ”Nehmt, das ist mein Leib” (Mk 14,22 par.).

Der Speisekelch ist als sechseckiger Hohlkörper aus vergoldetem Silberblech gestaltet. Foto: Arnold WeigeltAuch Martin Luther hat streng an dieser Lehre festgehalten; in seiner Betonung der leiblichen Gegenwart Christi war er sich mit der römisch-katholischen Kirche einig. Die lutherische Tradition bejaht mit der katholischen, dass die konsekrierten Elemente nicht schlechthin Brot und Wein bleiben, sondern kraft des schöpferischen Wortes als Leib und Blut Christi dem Glaubenden geschenkt werden. Darüber hinaus wird im lutherisch-katholischen Dialog festgestellt: “Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die eucharistische Gegenwart des Herrn Jesus Christus (...) nicht nur auf den Augenblick des Empfangs beschränkt ist.” Allerdings wird eine Fortdauer der Gegenwart Jesu Christi über die Abendmahlsfeier hinaus von den evangelischen Christen mit der Begründung abgelehnt, dass das Abendmahl für den Gebrauch der Gottesdienst feiernden Gemeinde eingesetzt sei. In dieser Frage konnte unter den Kirchen bisher noch keine Einigung erzielt werden.

Sowohl in alter als auch in neuer Zeit wurden Speisekelche erstellt, die dem Austeilen der Hostien und  ihrer Aufbewahrung im Tabernakel dienen sollten. In der Schatzkammer des Mindener Domes sind einige Speisekelche vorhanden, von denen einer ganz besondere Beachtung verdient. Es handelt sich um ein Werk aus der zweiten  Hälfte des 13. Jahrhunderts, das wahrscheinlich in Osnabrück, aber speziell für den Mindener Dom geschaffen wurde. Im Mindener Domschatzinventar von 1683 wird es mit den Worten erwähnt: ”Ein silbern übergüldetes mit Steinen versetzetes Reliquiarium, so inwendig Holtz.”

Es handelt sich um einen sechsseitigen Hohlkörper aus vergoldetem Silberblech, der über einem Holzkern gearbeitet wurde. Der aufgesetzte obere Teil, der ebenfalls sechsseitig, aber kegelförmig gestaltet ist, deckt den unteren Teil ab. Beide Teile sind durch Scharniere miteinander verbunden, so dass sich der Deckel leicht öffnen lässt. Im unteren Teil entstehen durch schlichte Säulen mit Blattkapitellen sechs rechteckige Felder; in der oberen Abdeckung sind sie durch Strickstäbe, die zur Spitze führen, dreieckig gebildet. Die Hohlräume sind mit Bolus (Tonerdesilikat) ausgelegt. Um den unteren Teil legen sich an beiden Enden schmuckvolle Ornamentbänder. Am oberen Rand dieses Teiles ist ein Kranz ovaler, rot-blauer Steine im farblichen Wechsel angebracht.

In den zwölf Feldern sind nicht etwa die zwölf Apostel dargestellt, wie es nahegelegen hätte, sondern ein uneinheitlicher Figurenschmuck, der in seiner Zusammensetzung Rätsel aufgibt. Abgebildet sind Christus und einige Apostel, die alle ein Buch in der Hand halten, aber auch Propheten, die nicht zu identifizieren sind. Weil Petrus, der an seinem Schlüssel erkennbar ist, zweimal vorkommt, darf angenommen werden, dass dieses Ziborium eigens für den Petrusdom in Minden geschaffen worden ist.

Die Figuren im unteren Teil, die auf einem Postament sitzen und individuell und in unterschiedlicher Haltung dargestellt sind, wurden ganzkörperlich abgebildet, während die Heiligen im Deckel nur als Büste zu sehen sind. Alle Heiligen tragen einen Heiligenschein, nur Christus ist an seinem Kreuznimbus zu erkennen. Segnend hat er die rechte Hand erhoben. Als Heilige werden Stephans - identifizierbar am Palmzweig -, sowie Paulus, Johannes, Jakobus der Ältere und der Jüngere vermutet.

Das Ziborium gibt Hinweise auf eine Serienanfertigung, die im Mittelalter schon bekannt war. Die Reliefs wurden in einer Werkstatt, die für die Formen Matrizen besaßen, gestanzt, so dass die Künstler mehrere Exemplare hintereinander erstellen konnten. Auch damals schon konnten bei einer Mehrfachproduktion Kosten gesenkt werden.
An der Spitze des Speisekelches ist der Rest eines Hakens erhalten, an dem in früheren Zeiten die Ziborien während des Gottesdienstes in der Nähe des Altares aufgehängt wurden. Auch dieser Tatbestand spricht dafür, in diesem wertvollen Exponat der Schatzkammer nicht ein Reliquiengefäß, wie einige Fachleute vermuten, sondern einen Speisekelch zu sehen.

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