Amtage.de - das Minden-Magazin

Ein Holz-Einband für Handgeschriebenes

Kostbarer Buchdeckel aus dem 13. Jahrhundert wird in der Domschatzkammer aufbewahrt

Ein kostbarer Buchdeckel aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts liegt in der Domschatzkammer. Sein Inhalt wurde von Kriegsbomben zerstört.

Die Buchdruckerkunst wurde erst im 15. Jahrhundert von Gutenberg erfunden. Mit dieser Erfindung aber wurde die Möglichkeit geschaffen, wichtige Texte in größerer Zahl zu verbreiten und sie den des Lesens Kundigen zugänglich zu machen.

Dieser kostbare Buchdeckel stammt aus dem 13. Jahrhundert.Vorher musste sorgfältig überlegt werden, welche Texte ausgewählt wurden, um sie original und handgeschrieben an die Nachwelt weiterzugeben. Zu diesen wertvollen Büchern, die meistens in Klosterschreibstuben in jahrelanger mühsamer Arbeit Wort für Wort erstellt wurden, gehörte vor allem die Bibel. Sie war das Buch der Bücher.

Michael Groißmeier nennt als Grund für das Schreiben wichtiger Texte: "Wort um Wort so setzen, dass eine Leiter entsteht, mit der sich etwas ersteigen lässt, eine Aussicht gewinnen." Die Bibel war für die Gläubigen aller Zeiten eine solche Leiter, die bis zum Himmel ragte; sie war eine Verbindung zwischen Gott und Welt. Der Leser konnte von der obersten Sprosse der Leiter aus das Leben der Welt und sein eigenes Schicksal unter ganz anderen Gesichtspunkten betrachten und dabei neue und tiefere Erkenntnisse gewinnen.

Schon im Mittelalter hatte man sich von Pergamentrollen gelöst; jetzt wurden die beschrifteten Seiten in Büchern eingebunden. Weil es sich in den meisten Fällen um traditionsreiche und wertvolle Schriften handelte, schufen die Künstler entsprechende kunstvolle Buchdeckel aus unterschiedlichen Materialien, die die Seiten zusammenhielten.

Ein solcher kostbarer Buchdeckel liegt in der Mindener Domschatzkammer vor. Er stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Da er Lesungen für den Gottesdienst mit Texten aus dem Alten Testament und den Apostelbriefen enthalten hat, nennt man dieses Buch Epistolar ( Epistel = Brief). Leider sind 1945 bei dem Brand der Schatzkammer nach einem Bombenangriff auf Minden im Zweiten Weltkrieg fast alle handgeschriebenen Texte dieses Buches verbrannt. Die wenigen verbliebenen Seiten, die sich jetzt noch im Buch befinden, sind so verkohlt, dass jeder Versuch, sie zu trennen, zur völligen Zerstörung führen würde. Oberhalb der Christusfigur und an der linken unteren Seite des Buchdeckels sind durch das Feuer entstandene Rissbildungen zu erkennen. Auch die frühere farbige Fassung mit der Vergoldung ist bis auf wenige Spuren zerstört.

Im Mindener Domschatzinventar von 1683 wird der Buchdeckel erwähnt und als "Epistoln-Buch" bezeichnet. Der Buchdeckel ist aus Holz geschnitzt. In einer Mandorla befindet sich Christus. Er sitzt auf einem Regenbogen, der auf der linken Bildseite zu sehen ist. Die Mandorla wird durch den Kopf und die Füße der "majestas domini" durchbrochen. Das ganze Bild befindet sich in einem rechteckigen Rahmen, der nach innen zweifach gestuft ist. Dieser thronende Herrscher, dessen Haupt mit einem Christus allein vorbehaltenen Kreuzes-Nimbus versehen ist, trägt üppige Kleider. Während er in der linken Hand das Buch des Lebens hält, hat er die rechte zum Segen erhoben. Im oberen rechten Eckzwickel sind punzierte Rosetten sichtbar. Reste vom Ledereinband und Verschluss sind noch erhalten.

Da dieser majestätische Christus auf dem Buchdeckel fast zur gleichen Zeit wie der Apostelfries im Dom (1270) entstanden ist, könnte die Christusfigur im ehemaligen Lettner dem Holzschnitzer des Buchdeckels als Vorbild gedient haben. Beide Christusdarstellungen weisen in Gestalt und Ausdruck große Ähnlichkeiten auf.

Das Gesicht des Retters der Welt auf dem Buchrelief könnte die Sehnsucht Gottes nach dem Menschen ausdrücken. Die bekannte jüdische Dichterin Nelly Sachs hat in ihrem Gedicht "Alles beginnt mit der Sehnsucht" über das gegenseitige Verlangen zwischen Gott und Mensch die Verse geschrieben: "Immer ist im Herzen Raum für mehr, für Schöneres und Größeres. Immerfort sich hinstrecken auf ein Kommendes - das ist des Menschen Größe und Not." Sie spricht aber auch umgekehrt von der Sehnsucht Gottes zur Welt, wenn sie fragt: "Fing nicht auch deine Menschwerdung, Gott, mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?"

Beide Sehnsüchte sind die Ausgangspunkte der Bibel; sie sind aber auch die bewegende Aussage dieses kunstvoll geschnitzten Buchdeckels mit dem thronenden, Ruhe ausstrahlenden und souveränen Retter der Welt.

Nächstes Objekt des Domschatzes: Teile des Kirchenjahres im Evangelistar

Top